Fenech DE

Befürwortung eines europäischen Programms der Wachsamkeit und des Kampfes gegen sektiererische Auswüchse

 

George Fenech, Präsident der MIVILUDES [1]

 

Ich spreche zu euch auf Französisch, da mein Englisch nicht gut genug ist, um mich in eurer schönen Sprache auszudrücken. Danke, lieber Tom Sackville, für die Einladung von MIVILUDES zu dieser wichtigen FECRIS-Konferenz. Heute hier in London zu sein, um über Sekten und sektenbezogene Gruppen zu sprechen, ist sehr symbolbeladen.

 

Wir sind eine interministerielle Mission, die unter der Schirmherrschaft des französischen Premierministers arbeitet, und wie ihr wisst, hat er unsere Aktionen und die von FECRIS materiell, moralisch und politisch unterstützt. Ich werde von meiner Generalsekretärin Amélie Cladière und meinem technischen Assistenten Laurence Baour begleitet. Daher ist heute eine Delegation von MIVILUDES bei euch.

 

Ich freue mich zu sehen, dass ihr trotz der Luftraumprobleme hier heute gut vertreten seid, und ich möchte besonders gerne sagen, wie sehr ich über die Gegenwart von einigen erstklassigen Leuten erfreut bin. Besonders möchte ich das Mitglied des belgischen Parlaments, Herrn André Frédéric, begrüßen. Die Tätigkeit Belgiens auf dem Gebiet sektiererischer Auswüchse ist gut bekannt und ich wurde vor kurzem auf die Initiative von Herrn Frédéric durch das belgische Parlament bezüglich des neuen Gesetzes befragt, das eingeführt werden soll. Ich möchte auch mein belgisches Gegenstück, Herrn Henri de Cordes, begrüßen, den Präsidenten der CIAOSN [2],und wir haben auch einen Vertreter der belgischen Bundespolizei hier, daher ist Belgien heute sehr gut vertreten. Ich bin auch sehr glücklich, Frau Catherine Picard zu sehen, die Präsidentin der UNADFI [3], und Herrn Jacques Miquel, den Präsidenten des CCMM [4], die die beiden größten französischen Organisationen vertreten, die uns bei unserer Arbeit helfen, und die Direktoren und Mitglieder der FECRIS, die ich gut kenne, und andere Mitglieder aus anderen Ländern, denen es irgendwie gelang, hierher zu kommen.

 

In Frankreich hat der Kampf gegen schädliche Sekten niemals wirklich nachgelassen. Es gab immer einen politischen Willen dahinter, obwohl wir sehr turbulente Zeitabschnitte hatten. MIVILUDES ist sehr lebendig. Sie hat wirklich Mittel und den Rückhalt der Regierung und man hört ihr im ganzen Land und auch außerhalb der Grenzen Frankreichs gut zu, denn es ist wahr, dass wir mit Belgien zusammenarbeiten, ein einzigartiges Beispiel vom Bewusstwerden dieses Phänomens bei den Behörden und nicht nur bei Vereinen. Ich behalte diese Idee bei, vielleicht nicht als Sektenminister, wie es Tom erwähnt hat, sondern als Sorge der Regierung in dieser Angelegenheit. Es ist ein Wunsch, auf dessen Erfüllung man hoffen kann, und dies ist der Gegenstand meines Vortrags, dass in Europa die Behörden das Sektenphänomen berücksichtigen. Ganz einfach deshalb, weil das Sektenphänomen den Kern des Daseins berührt, die Würde des Menschen, die Menschenrechte; es ist ein wirkliches Anliegen der Gesellschaft, es ist ein Kampf gegen den Totalitarismus, es greift die verwundbarsten Leute an und vor allem Kinder, wie du gesagt hast. Es ist ein wirkliches Anliegen der Gesellschaft, dem gegenüber Regierungen nicht indifferent bleiben können

 

Wir können Trost finden in dem Umstand, dass dieses Bewusstsein in einigen europäischen Ländern bereits vorhanden ist. Ich hatte Gelegenheit, dies anlässlich von Einsätzen von MIVILUDES in einer Anzahl von europäischen Hauptstädten zu erfahren. Deutschland war bezüglich des Sektenphänomens immer sehr wachsam. Diese Tätigkeit wird inner halb des deutschen Familienministeriums organisiert und koordiniert. Belgien ist natürlich ein Beispiel, das mit Frankreich ganz vergleichbar ist, aber es bleibt noch viel zu tun und das ist der Grund, der MIVILUDES veranlasste, die Idee einer europäischen Zusammenarbeit auf diesem Gebiet zu befürworten.

 

Diese Idee ist nicht neu, wenn man sich an die Geschichte des Kampfes gegen sektiererische Auswüchse erinnert, der bis 1984 zurückreicht, und an den ersten Bericht über dieses Gebiet, der dem Europäischen Parlament durch den britischen Abgeordneten Richard Cottrell erstattet wurde, und an andere Berichte, die darauf folgten, zum Beispiel die Berichte von Berger und Nastase und bestimmte Resolutionen, über die im Europäischen Parlament abgestimmt wurde. Unglücklicherweise muss man zugeben, dass diese Frage immer auf der Ebene beabsichtigter Vorschläge verblieb, Europa aber niemals auf europäischer Ebene eine Struktur errichtete oder ein Programm initiierte. Warum auf europäischer Ebene? Offenbar respektieren Sektenorganisationen keine nationalen Grenzen, und wenn es ihnen in manchen Staaten erlaubt wird, sich frei niederzulassen und das zu tun, was anderswo als Angriff auf Freiheit und Menschenrechte betrachtet wird, dann haben wir ein wirkliches Problem. Wir müssen uns dessen bewusst sein, obwohl es anmaßend wäre, daraus Schlüsse betreffend bestimmte Länder zu ziehen. Weil wir ein Kontinent der Menschenrechte sind, wären wir in Europa vielleicht dazu fähig, uns auf einen Mindestplan zu einigen?

 

Ich reiste nach Wien in Österreich, um Herrn Kjærum zu treffen, den Direktor der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA), die Nachfolgerin der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit seit 2007.

 

Als ich Politiker war, lernte ich, pragmatisch langsam aber sicher vorzugehen. Zu Beginn wollte ich dem Premierminister vorschlagen, ein europäisches Sektenobservatorium zu errichten, aber mir wurde klar, dass es dieser Idee bestimmt war, Wunschdenken zu bleiben. Da jedoch jetzt diese Agentur der EU für Grundrechte besteht, kann dieses Vorhaben vielleicht innerhalb dieser in Betracht gezogen werden. Der Direktor stammt aus Dänemark, das ist wieder symbolträchtig, denn in Kopenhagen in Dänemark befindet sich das Hauptquartier der Scientology-Organisation. Unsere Idee kam gut an, und im Mai werde ich die neue Präsidentin der FRA treffen, die uns schon bei MIVILUDES besucht hat. Dies ist Teil unserer Lobby-Arbeit, denn wir haben alle verschiedenen Mitglieder der Agentur empfangen und kontaktiert, französische, deutsche, belgische und andere, um sie zu bitten, diese Idee einer Befürwortung eines europäischen Programms zugunsten Minderjähriger in Bezug auf Sekten zu unterstützen. Wir sprechen hier nicht über Erwachsene, sondern über Minderjährige, Kinder und junge Leute, und wir müssen uns mit dem Problem junger Leute in Verbindung mit Sekten beschäftigen.

 

Beginnen wir einfach damit. Welches Land würde sagen: „Wir interessieren uns nicht für das Problem von Minderjährigen in Sekten“? In wessen Namen könnte ein Land so etwas sagen? Gibt es in Europa eine politische, konfessionelle, religiöse, kommerzielle oder sonstige Organisation, die über dem Gesetzt steht? Sicherlich nicht! Die Kinderrechte wurden auf internationaler Ebene in der Internationalen Konvention der Kinderrechte im Jahre 1989 in New York anerkannt und bestätigt, von den Mitgliedsländern der Europäischen Union ratifiziert und in die Gesetzgebung der Nationen integriert. In Frankreich ist das so. Wir machen nichts anderes, als das Gesetz anzuwenden; wir fordern, dass Kinder Anspruch haben sollen, eine Ausbildung zu erhalten, freie Bürger zu werden, die fähig sind, sich ihr eigenes Urteil zu bilden und in der Gesellschaft freie aufgeklärte Bürger zu sein und nicht in isolierten Gemeinschaften eingesperrt zu werden.

 

Kinder haben auch das Recht auf Gesundheitspflege. Es wäre unnütz und Zeitverschwendung euch eine Liste von Fällen vorzustellen. Ich berichte eucn nur von einem  neuen Fall, der von einem Strafgericht in Frankreich behandelt wurde. Er betraf Eltern, die vor einiger Zeit aus dem einfachen Grund verurteilt wurden, weil die Mutter im Namen einer Ideologie eine sehr strikte veganische Diät einhielt, während sie das Kind stillte. Dies schwächte offenbar das Kind, das starb, weil die Diät, welche die Mutter einhielt, es der Nährstoffe beraubte, die es zur Entwicklung benötigt hätte.

 

Wir kennen viele Beispiele wie dieses von Kindern, die wegen bestimmter Glaubensansichten gelitten haben, und ich meine, wenn wir heute hier in Britannien unsere Kräfte vereinigen und wenn FECRIS hinter diesem Projekt steht, dass FECRIS es unterstützen muss. Ihr seid ein NGO mit speziellem beratendem Status beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen,  und ihr habt die Mittel, euch Gehör zu verschaffen. Kontaktiert alle eure Mitglieder in den verschiedenen Ländern. Ich rief UNADFI und CCMM dazu auf. Ihr müsst auch eine NGO bei dieser Europäischen Agentur der Grundrechte werden. Ihr müsst es mindestens ebenso schaffen wie die großen Sekten, denen es gelungen ist, diese internationalen Institutionen so zu unterwandern, um die Aktionen, die wir vorschlagen, zu verunglimpfen.  Wir kämpfen einen Kampf und ich habe keine Zweifel, dass ihr diesen Kampf wirksam führen könnt. Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht, um auf europäischer Ebene ein Programm in Bezug auf Minderjährige in Sekten vorzubereiten, auch wenn es nur ein grundlegendes Programm ist, das wir vorschlagen. Dieses Programm zählt für mich sehr viel. Während ich Mitglied des Parlaments war, hatte ich den Vorsitz in einem parlamentarischen Ausschuss über Kinder in Sekten. Wir schätzten, dass zwischen 60000 und 80000 Kinder dem Sektenphänomen ausgesetzt waren. Das könnte ein erster Schritt sein.

 

Ich möchte noch hinzufügen, weil es sehr zum Thema passt, dass MIVILUDES in der vergangenen Woche einen Bericht veröffentlichte und die Behörden und die Regierung nicht untätig blieben. Auf dem Gebiet unseres Interesses war 2009 in Frankreich ein außerordentliches Jahr, ein kritischer Punkt. In diesem Jahr schalteten wir einen höheren Gang ein, vom Willen, Vorschläge zu machen zu konkreter Verwirklichung.

 

Ich möchte drei oder vier Beispiele erwähnen:.

 

  1. Im Jahre 2009 gründeten wir eine neue spezialisierte Polizeieinheit, die CAIMADES –Zelle der Unterstützung und des Eingreifens bezüglich sektiererischer Auswüchse. Sie beinhaltet spezialisierte Untersucher: 6 Beamte (Polizei und Gendarmerie), die die Kompetenz haben, Fälle von ungebührlicher Einflussnahmen zu untersuchen.
  2. Wir haben zuletzt im Gesundheitsministerium eine Expertengruppe eingerichtet, bei der MIVILUDES zusammen mit anderen öffentlichen Institutionen Mitglied ist, verantwortlich für die Überwachung der vielen Psychotherapien, die überall sprießen, und beauftragt mit deren Bewertung, um jene zu entdecken, die gefährlich sind, und die Bürger zu informieren, denn wir betrachten es als die Verantwortung der Behörden, die Bürger zu informieren; danach haben sie die Freiheit, zu tun, was sie wollen. Ich sage den Leuten: „MIVILUDES ist weder eine ‚Gedankenpolizei’ noch eine ‚Gesundheitspolizei’; wir agieren als ein Thermometer, wir läuten im Namen der Regierung die Alarmglocken; dann ist es die Angelegenheit der gewählten Mandatare, der Vereinigungen und jedes einzelnen Bürgers, ihre Verantwortung auf sich zu nehmen.
  3. Schließlich errichteten wir 2009 einen gesetzlichen Rahmen für den Titel des Psychotherapeuten, der früher jedem Scharlatan erlaubte, ein Berufsschild anzubringen und arme ungenügend informierte vertrauensselige Leute, die diesem Titel des Psychotherapeuten vertrauten, mit sich in ihre Verrücktheit und Ideologie hineinzuziehen. Um jetzt in Frankreich Psychotherapeut zu werden, ist es notwendig, bestimmte Bedingungen zu erfüllen; es gibt eine Kontrolle auf diesem Gebiet. Ich bin sehr besorgt über eine Anzahl von praktischen Ärzten, die zu ungeprüften Methoden Zuflucht nehmen. Hier meine ich, dass wir  gemeinsam mit dem Medizinischen Rat und mit dem Gesundheitsministerium einiges zu tun haben werden, um sie zu ermutigen, ihr Haus aufzuräumen.

 

In diesem Jahr haben wir auch die berufliche Weiterbildung reformiert. Ihr alle wisst, dass die berufliche Weiterbildung, die eine Menge Geld umsetzt, 25 Milliarden Euro in Frankreich, für Sekten ein Eingangstor in das Geschäft ist. Wir haben deshalb die berufliche Weiterbildung reformiert, die nun eine strengere Kontrolle über alle diese Organisationen des Coaching und der Persönlichkeitsentwicklung ausübt, was andere Namen für sektiererische Organisationen sind.

 

Wie ihr seht, sind wir nicht untätig gewesen. Wenn politischer Wille, wahrer politischer Wille, existiert, und ich muss sagen, dass wir uns in Frankreich in dieser Frage politisch einig sind. Es gibt hier keine linke oder rechte Ideologie, da wir uns in einem wesentlichen Punkt einig sind: dem Schutz des Individuums. Dieser Punkt einigt uns, zu welcher politischen Farbe wir auch immer gehören.

 

Daher lautet die Nachricht, die ich euch zu überbringen kam, dass Matignon[5] und MIVILUDES gewillt sind, weiterhin die Tätigkeit von FECRIS zu unterstützen und dich, lieber Tom Sackville, dafür zu beglückwünschen, dass du diese bedeutende Verantwortung übernommen hast; du kennst dieses Gebiet und hattest ein wichtiges politisches Amt inne. Für FECRIS, für alle hier, die ehrenamtlich kämpfen, die freimütig ihre Zeit dafür spenden, ist es eine unbezahlbare Ermutigung. Deine Präsidentschaft bei FECRIS, lieber Tom Sackville, ist insbesondere ein wunderbares Privileg. Es ist außerordentlich, jemanden mit deiner Qualität und Erfahrung gefunden zu haben, und der außerdem die Qualität hat, Brite zu sein. Auf diesem Gebiet hat dies eine Bedeutung angesichts der Freiheiten, die wir uns mit solchen Schwierigkeiten angeeignet haben.

 

Ich sollte auch hinzufügen, dass ich eure Hilfe brauche, um das ehrgeizige Projekt der Entwicklung eines europäischen Programms durchzuführen. Macht es bekannt, kontaktiert diese europäische Agentur, zeigt ihnen, dass ihr diese Initiative unterstützt. Wenn uns dies gemeinsam gelingt, dann werden wir einen wichtigen Fortschritt zur Verteidigung von Freiheit und fundamentalen Rechten gemacht haben.

 

Nochmals danke ich euch. Ich wünsche euch einen sehr bereichernden Tag, der die Aktion prägen wird, die wir gemeinsam durchführen.

[1] Mission Interministérielle de VIgilance et de LUtte contre les DÉrives Sectaires – Interministerielle Mission der Wachsamkeit und des Kampfes gegen sektiererische Auswüchse

[2] Centre d’Information et d’Avis sur les Organisations Sectaires Nuisibles- Zentrum für Information und Beratung bezüglich schädlicher sektiererischer Organisationen

[3] Union nationale des Associations de Défense des Familles et de l’Individu victimes de sectes – Nationale Union der Vereinigungen zur Verteidigung von Familien und Individuen, die Opfer von Sekten wurden

[4] Centre de documentation, d’éducation et d’action Contre les Manipulations Mentales – Zentrum der Dokumentation, der Bildung und der Aktion gegen mentale Manipulation

[5] Amtssitz des französischen Premierministers