Dutilleul DE

VORTRAG VON PHILIPPE DUTILLEUL

RTBF[1] JOURNALIST

LONDON, APRIL 2010

In der ganzen Welt muss die moderne Gesellschaft sich der Herausforderung von Gesundheitsscharlatanen, Bewusstseinszersetzern und verwirrten selbsternannten „Therapeuten“ stellen. Dies gilt sowohl für Europa als auch für andere Kontinente.

Es handelt von wirklichen Räubern, die oft völlig ungestraft ihre höchste Geschicklichkeit dazu benützen, das Bewusstsein von Leuten zu manipulieren, wofür sie anschließend noch bezahlt werden wollen. Intellektueller Betrug (wirkliche Gehirnwäsche) für alle möglichen Zwecke. Familien werden gespalten und „Patienten“ unterwerfen sich völlig ihren esoterischen Theorien und sektiererischen Praktiken. Wenn du nicht ebenso denkst wie sie, wird du „verdammt“, du kannst nicht entkommen!

Ich werde meine Ansicht als dokumentierender (und untersuchender) Journalist und Direktor des RTBF  (belgisches öffentliches Radio und Fernsehen in französischer Sprache) darlegen. Mit anderen Worten lautet die Herausforderung wie folgt: wie kann Fernsehzusehern die Gefahr bewusst gemacht werden, die diese Betrüger darstellen, die oft innerhalb eines Netzwerks zusammenarbeiten?

Jeder von uns könnte in einem gegebenen Augenblick unseres Lebens durch einen Rückschlag, verursacht durch Arbeit, Familie, emotionelle oder gesundheitliche Probleme, verwundbar gemacht werden.  In größerem oder kleinerem Maß kann dies ernste Auswirkungen auf unser psychologisches und mentales Wohlbefinden haben. Daher werden wir zu möglichen Zielen für diese klugen Räuber, die allzu gut ihre vereinnahmende Rede unseren jeweiligen Umständen anzupassen wissen. Und dies ist allzu klar der Fall bezüglich bestimmter Medizinen, die als „mild“, „parallel“ oder „alternativ“ beschrieben werden. Diese sind nun hoch im Kurs, entgegengesetzt zur klassischen Medizin, die (durch die Scharlatane) als Ursache aller Übel angeklagt wird.

Medien im allgemeinen, jedoch besonders das Fernsehen, weil es zu jeder Zeit die größte Anzahl von Leuten erreicht, haben eine wichtige Rolle zu spielen, allgemein sektiererische Abweichungen bloßzustellen, besonders aber solche, die mit der Gesundheit der Leute zu tun haben. Wir müssen lehren, Bewusstsein hervorrufen und, in Kürze, eine nützliche Aufgabe erfüllen, indem wir energisch und effektiv diese potentiell gefährlichen Leute bloßstellen. Dies setzt voraus, dass man sich selbst des Problems oder der Gefahr bewusst und darauf vorbereitet ist, diese bloßzustellen.

Wenn ich mich selbst auf das Fernsehen beschränke, das Medium, für das ich arbeite, dann kann ein Beispiel einer Situation symbolisch durch ein fiktives Szenario dargestellt werden – zum Beispiel einen Film für das Fernsehen – über das Thema, um das öffentliche Bewusstsein wachzurütteln. Das aber riskiert, dass die Geschichte – auch wenn sie gut gemacht ist – möglicherweise (etwas) realitätsfern erscheint. Es gibt daher ein Risiko, dass die Absicht, bloßzustellen und bei den Fernsehzuschauern Aufmerksamkeit zu erregen, teilweise missglücken wird.  

Deswegen habe ich, soweit es mich betrifft, mich entschlossen, in der sehr wettbewerbsorientierten Welt des Fernsehens (heutzutage eine wesentliche Erwägung) eine möglichst mächtige Dokumentation herzustellen; in einer Welt, die in ihren Aussendungen nicht immer auf Qualität achtet, wenn es nur eine große Zahl  von Zusehern gibt….

Dies ist auch der Grund, warum ich fast zwei Jahre wartete, bis es mir gelang, gerade das richtige Beispiel zu finden (den Fall von Nathalie De Reuck’s Mutter, den Nathalie selbst kurz in Einzelheiten erklären wird). Dies, nachdem ein Freund, dem solche Leute sehr bewusst waren und der selbst mit seiner eigenen Familie diesen abweichenden Therapeuten zum Oper fiel, mir das Problem bewusst machte. 

Drei Bedingungen sind nötig, um einen solchen Film zu produzieren, der das Sektenphänomen bloßstellen und es einer großen Zahl von Leuten bewusst machen wird:

1)  Eine verlässliche Quelle oder sogar [mehrere] verlässliche Informationsquellen, die eine gegenseitige Atmosphäre des Vertrauens ergeben, sind sicher für einen Journalisten am schwersten zu bekommen. Ich möchte vor dieser Zuhörerschaft diesen Punkt besonders hervorheben. Ohne passende originale unveröffentlichte Information, ohne genaue Dokumentation, ohne Zeugen, die zu sprechen bereit sind, kann es keine Berichte oder Dokumentarfilme geben, die diese sektiererischen Phänomene bloßstellen. Ich hatte die Gelegenheit, gut informierte und betroffene Menschen zu treffen, die aus vollem Herzen und ohne Kritik an meiner Arbeit mitgewirkt haben. Sie haben mich mit einigen interessanten Informationen versorgt.

2)  Ein Beispiel, ein Fall, der durch seine Aktualität und seinen Inhalt eindrucksvoll ist – der durch seine exemplarische Natur Diskussionen und Überlegungen provoziert – jeder fühlt sich betroffen und versteht, was auf dem Spiel steht. In dem gewählten Bespiel hatte ich sowohl menschliches als auch audiovisuelles Material zu benutzen (Tonarchive, Fotos, Amateurfilme). Dies erlaubte den Zusehern, den Charakteren verbunden zu sein, und uns, eine sehr realistische Geschichte zu erzählen  (die Nathalie De Reuck, die Tochter des Opfers, samt den betreffenden Folgen erklären wird), die Emotionen und verheißungsvolles Infragestellen hervorrufen wird.

3)  Die vollständige Zusammenarbeit, entweder des Opfers (wenn es noch lebt und bereit ist, Zeugnis zu geben), oder seiner Familie (wenn das Opfer verstorben ist) bei der Erstellung des Berichts oder des Dokumentarfilms. Dies war mit Nathalie De Reuck für den Film der Fall, den wir gemeinsam über ihre Mutter produziert haben, die drei Monate vor Beginn der Aufnahmen starb (Filmtitel: “Mort biologique sur ordonnance téléphonique“ – „Biologischer Tod auf telefonisches Rezept“).

Nach meiner bescheidenen Meinung darf der Journalist/Produzent, um die Wirkung einer solchen Produktion zu verstärken, nicht versuchen zu lehren, zu moralisieren oder zu erklären, wie man denken soll.  Es ist die Geschichte selbst, die erzählt, durch ihren Inhalt gezeigt, die die Zuseher überzeugen und ihnen die Sektengefahr bewusst machen muss. Kein ideologischer Vortrag, sondern konkrete Beispiele, die zum Nachdenken, zur Diskussion und zu einem Verteidigungsreflex anregen,  wenn man eines Tages einer Situation dieser Art gegenübersteht. Dies war jedenfalls meine Einstellung, als ich diesen Film machte.

Zusätzlich zu den drei Bedingungen, die ich beschrieb, gibt es auch noch andere Hindernisse für einen Fernsehjournalisten (nicht so sehr für jemanden, der für die gedruckte Presse oder für das Radio arbeitet), einen Bericht über dieses Thema zu verfassen. Es muss Bilder geben! Und ihre Wirkung und ihre Verlässlichkeit sind ein Schlüsselfaktor.  Sehr oft muss man auf eine versteckte Kamera zurückgreifen (denn Therapeuten und sektiererische Ärzte sehen die Ankunft eines Fernsehteams nicht gerne, das ihr Gruppen/Individualtraining oder ihre manipulativen Sitzungen filmen möchte), oder man muss den interviewten Leuten gestatten, anonym zu bleiben, entweder für deren eigene Sicherheit oder aus persönlichen Gründen. Wenn das nicht geht, dann hat man nichts und es kann keinen Film geben!

Diese beiden Hindernisse sind in dieser Art von Milieu und Nachforschung sehr üblich. Man muss sich daher für die Ausstrahlung des Berichts mit möglichst vielen  gesetzlichen Sicherheiten ausstatten. Der winzigste Fehler wird von diesen Räubern/Manipulatoren dazu benützt werden, von Gerichten Ersatz für erlittenen Schaden zugesprochen zu bekommen oder die Ausstrahlung zu untersagen.  Das Recht, Bilder zu benützen, wird immer restriktiver und die Rechtsprechung auf diesem Gebiet ist sehr unvorhersehbar. In allen Situationen ist Vorsicht unumgänglich und Rückgriff auf die Meinung kompetenter Anwälte wünschenswert. 

In dem Film, von dem hier die Rede ist, bleiben die vom Opfer (Nathalie De Reuck’s Mutter) mit ihrem Therapeuten (ohne deren Wissen) gemachten Tonaufzeichnungen, obwohl sie in sich selbst keine legale Evidenz darstellen, ein wichtiges Element der Glaubwürdigkeit, die das Opfer zu Ungunsten ihres Guru/Therapeuten in einem günstigen Licht zeigen und so die Möglichkeit einer gerichtlichen Auseinandersetzung vermindern.

Wenn die audiovisuelle Produktion beendet und fertig für die Ausstrahlung ist, dann ist der Journalist/Produzent noch weit davon entfernt, die Schlacht gewonnen zu haben. Er muss die Direktoren der Fernsehkanäle davon überzeugen, den Film unter guten Ausstrahlungsbedingungen (Tag, Zeit, Häufigkeit) zu zeigen, so dass er von einer möglicht hohen Zahl von Zuschauern gesehen werden kann. Und vergessen wir nicht darauf, dass der Wettbewerb  zwischen öffentlichen und privaten Fernsehkanälen erbittert ist. Diese Art von Film, auch wenn sein Inhalt mächtig und interessant ist, wird nicht notwendigerweise im Hauptabendprogramm gesendet oder von anderen Kanälen gekauft werden.

Ich muss hinzufügen, dass direkt oder indirekt durch bestimmte volkstümliche oder gezielte Übertragungen im Radio oder Fernsehen und sehr geschicktes Handeln bestimmte pseudowissenschaftliche und sektiererische Theorien das Recht erhalten haben, gehört zu werden, und über die groß geredet wird, entweder durch unbedarfte Organisatoren oder die Therapeuten selbst, die frei und völlig straflos handeln. Im Internet ist die Situation sogar noch schlimmer.  Es ist ein privilegierter und geschätzter Ort für diese Scharlatane, um ihre falschen Theorien zu verbreiten. Aber gleichzeitig eine Informationsquelle für uns!

Das ist der Grund, dass, wenn man eine Sammlung von Forschungsmaterial und eine Reihe von anderen Informationen besitzt, die sich für die Veröffentlichung eignen, es kein Zögern geben kann – auch wenn es eine Menge Arbeit kostet -, den Film mit einem Buch oder einer Reihe von Artikeln in der gedruckten Presse zu begleiten.   Das war in dieser Situation der Fall mit der Veröffentlichung des Buches „Man hat meine Mutter getötet!“, herausgegeben von Editions Buchet-Chastel. Das Buch benützt Elemente, die im Film vorhanden sind, geht aber weit darüber hinaus, indem es diese Therapeuten/Scharlatane bloßstellt, sich in die Geschichte und in die enthüllte Information vertieft, während es der großen Öffentlichkeit zugänglich bleibt.

Abschließend würde ich sagen, dass diese Untersuchung (die nicht beendet ist, weil mit Hilfe von Nathalie ein weiterer Bericht über dieses Thema in Betracht gezogen wurde) viel Zeit und Energie gekostet hat, aber der Zweck heiligt die Mittel. Jedoch wird keine Sache, wie rechtfertigbar sie auch sein mag, von vornherein gewonnen. Besonders diese hier. Denn man kann niemals jemanden davon abhalten, diese Art von Therapeuten zur Rate zu ziehen oder von ihnen überzeugt zu werden. (Jeder ist frei, für sich selbst so zu sorgen, wie er es wünscht), besonders wenn es außerdem in ernsten Fällen Straffreiheit gibt. Der Fall, der in diesem Film entwickelt wird, ist ebenso ein gutes Beispiel von diesem Standpunkt aus, da die Tochter des Opfers (Nathalie De Reuck) sich mutig entschlossen hat, beim Staatsanwalt in Brüssel Strafanzeige zu erstatten. (Wenige Leute tun das, wegen Mangel an Beweisen, Geld und Unterstützung,) Hoffen wir, dass die Polizei und die Richter ihre Arbeit ordentlich ausführen ….

Philippe Dutilleul

Januar 2010.

Tournai. Belgien

[1] Radio Telévision belge francophone